Kaum ein anderer hat die Krise der modernen Moral so gründlich ausgelotet wie Alasdair MacIntyre. In seinem 1981 erschienen Buch After Virtue: A Study in Moral Theory
Ein zentraler Teil meiner These war, daß die moderne moralische Äußerung und Praxis nur als eine Reihe bruchstückhafter Überreste einer älteren Vergangenheit verstanden werden können, und daß die unlösbaren Probleme, die sie den modernen Moraltheoretikern gestellt haben, so lange unlösbar bleiben, bis das richtig erkannt ist. Falls der deontologische Charakter moralischer Urteile der Schatten der Konzeption des göttlichen Rechts ist, das der Metaphysik der Moderne ziemlich fremd ist, und falls ihr teleologischer Charakter in ähnlicher Weise der Schatten der Konzeption der menschlichen Natur und ihrer Handlungen ist, die in der modernen Welt ebensowenig zu Hause ist, sollten wir damit rechnen, daß die Probleme, moralische Urteile zu verstehen und ihnen einen verstandesmäßig faßbaren Status zuzuweisen, sowohl ständig zunehmen als auch philosophischen Lösungen immer unzugänglicher werden.
Alasdair Macintyre, Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart, Frankfurt, 1995, S. 151.
Mit dieser Diagnose geht einher die Einsicht in die Notwendigkeit der Entwicklung eines Standpunktes, von dem aus diese Analyse überhaupt vollzogen werden kann und der wiederum eng verknüpft ist mit dem Versuch, auf die Frage nach einem Ausweg aus der Misere eine Antwort zu finden. MacIntyre schreibt:
Meine eigene Schlußfolgerung ist absolut klar. Auf der einen Seite fehlt uns trotz der Bemühungen von drei Jahrhunderten Moralphilosophie und einem Jahrhundert Soziologie noch immer jede einheitliche, rational vertretbare Darlegung eines liberalen, individualistischen Standpunktes; und andererseits kann die aristotelische Tradition auf eine Weise neu formuliert werden, die die Verständlichkeit und Rationalität unserer moralischen und sozialen Haltungen und Verpflichtungen wiederherstellt.
Alasdair Macintyre, Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart, Frankfurt, 1995, S. 345.