Ein Dialog mit Alberto Acosta, Leanne Betasamosake Simpson und Silvia Rivera Cusicanqui
5.1 Einführung
Extraktivismus bleibt auch in der Gegenwart eine der problematischsten Praktiken, nicht nur in Lateinamerika, sondern überall in der Welt. Im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung ist Extraktivismus derjenige Mechanismus, der die Ausbeutung von Ressourcen und Rohmaterialien in der Peripherie – mit all ihren zerstörerischen Folgen für das Leben der Minenarbeiter, ihrer Gemeinschaften und die Umwelt – mit wissenschaftlichen Projekten wie der Organisation européenne pour la recherche nucléaire (CERN, Europäische Organisation für Kernforschung) in der Schweiz, Computerchips und iPhones verbindet. Extraktivismus hat Folgen nicht nur im Hinblick auf die Verarmung der Minenarbeiter, sondern auch für die Prozesse, die das Leben und die Ökologie des Planeten zerstören.
Im Gefolge des Zusammenbruchs der Aktienmärkte 2008 und des Aufstiegs Chinas mit seinem damit verbundenen Bedarf an Rohmaterialien für eine Form der westzentrischen, öko-destruktiven Industrialisierung, die nordzentrische Technologien repliziert, ist der Preis von Metallen auf noch nie dagewesene Höhen gestiegen. Dies führte zur Spekulation seitens der extraktiven Industrien auf den Aktienmärkten weltweit mit zerstörerischen ökologischen Folgen für den Planeten. Und neben der ökologischen Zerstörung schloss dies auch die Gewalt ein, die zur Vertreibung der Menschen von ihren Territorien eingesetzt wurde, von denen die meisten Subjekte/Untertanen waren, die innerhalb der „Zonen des Nicht-Seins“ im Weltsystem rassialisiert wurden.1
Die Opfer dieser Prozesse auf der ganzen Welt sind die Menschen, die als nicht-westlich klassifiziert werden, was im Falle Lateinamerikas vor allem indigene und afro-stämmige Bevölkerungen betrifft. Die Gewalt, die von bewaffneten Akteuren, staatlichen wie privaten, eingesetzt wird, ist dazu bestimmt, Territorien einer ethnischen Säuberung zu unterziehen, damit Bergbauunternehmen das Land und seine Ressourcen übernehmen können, insbesondere wenn die betroffenen Gemeinschaften sich weigern, sich kaufen zu lassen, und Widerstand gegen die extraktivistische Zerstörung organisieren.
Extraktivismus ist nicht neu: er hat eine lange Geschichte, die mit der europäischen kolonialen Expansion 1492 begonnen hat. So bemerkt der ecuadorianische Autor Alberto Acosta:
Extraktivismus ist eine Weise der Akkumulation, die sich bereits vor fünfhundert Jahren in großem Maßstab durchzusetzen begann. Die Weltwirtschaft – das kapitalistische System – wurde mit der Eroberung und Kolonisation der Amerikas, Afrikas und Asiens zu strukturieren begonnen. Diese extraktivistische Weise der Akkumulation ist seither durch die Anforderungen der metropolitanen Zentren des aufstrebenden Kapitalismus bestimmt worden. Manche Regionen spezialisierten sich auf die Extraktion und Produktion von Rohmaterialien – Grundstoffen -, während andere die Rolle übernahmen, verarbeitete Güter zu produzieren. Die ersteren exportieren Natur, die letzteren importieren sie.2
Als Europa bis ins neunzehnte Jahrhundert ein führender Markt für Produkte aus Asien war, floss das Gold und Silber, das die Europäer mittels der extraktiven Industrien in den Amerikas gewonnen hatten, zwischen dem sechzehnten und achtzehnten Jahrhundert nach China und Indien ab. Dieses globale kapitalistische System, das mit der europäischen kolonialen Expansion 1492 begann, wurde von Anfang an auf der Grundlage der internationalen Arbeitsteilung in metropolitane Zentren und periphere Länder errichtet, wobei die einen Rohmaterialien exportierten und die anderen verarbeitete Güter.
Ohne die Eroberung von Afrika, Asien und Amerika hätte es keinen Weltkapitalismus gegeben. Es handelt sich also um ein System, das seit Anbeginn sowohl kapitalistisch als auch kolonialistisch war. Ohne Kolonialismus und Kolonialherrschaft würde es keinen globalen kapitalistischen Markt geben. Kolonialismus ist fundamental für Kapitalismus: der eine ist dem anderen inhärent. Folglich leben wir nicht in einem rein kapitalistischen System, sondern in einem historischen Kapitalismus, der seinem Wesen nach kolonial und daher rassistisch ist. Dieser Punkt ist im Text von Alberto Acosta implizit enthalten. Wir werden mit seiner Definition des Extraktivismus fortfahren:
Im Bemühen, zu einer verständlichen Definition zu gelangen, werden wir den Begriff des Extraktivismus verwenden, um solche Aktivitäten zu bezeichnen, die große Mengen von natürlichen Ressourcen entnehmen, die nicht verarbeitet werden (oder nur in einem stark begrenzten Maße verarbeitet werden), besonders für den Export. Extraktivismus ist nicht auf Mineralien oder Öl beschränkt. Extraktivismus tritt auch in der Landwirtschaft, Forstwirtschaft und sogar Fischerei auf. In der Praxis ist Extraktivismus ein Mechanismus der kolonialen und neokolonialen Ausplünderung und Aneignung gewesen. Dieser Extraktivismus, der im Laufe der Zeit in verschiedenen Verkleidungen aufgetreten ist, wurde in der Ausbeutung der Rohmaterialien geschmiedet, die für die industrielle Entwicklung und den Wohlstand des globalen Nordens von wesentlicher Bedeutung waren. Und dies wurde betrieben ohne Rücksicht auf die Nachhaltigkeit der extraktivistischen Projekte oder gar die Erschöpfung der Ressourcen. Dies wird noch durch den Umstand verschlimmert, dass das Meiste, was von den extraktiven Industrien produziert wird, nicht für den Konsum auf dem heimischen Markt bestimmt ist, sondern vor allem für den Export.3
Hier sehen wir, dass Extraktivismus die Entnahme von natürlichen Ressourcen, die für den Export nicht verarbeitet (oder nur minimal verarbeitet) werden, bedeutet und auf sehr viel mehr hinausläuft als bloße Extraktion von Mineralien oder Erdöl. Extraktivismus betrifft auch Agrikultur, Fischerei und Forstwirtschaft. Extraktivismus ist das Plündern und Ausrauben, das von der Kolonialzeit bis zum neoliberalen Neokolonialismus der Gegenwart beobachtet werden konnte. Er beinhaltet das Ausplündern, Enteignen, Rauben und Aneignen der Ressourcen des globalen Südens (den Süden des Nordens und den Süden innerhalb des Nordens) zugunsten bestimmter demographischer Minderheiten dieses Planeten, die den globalen Norden bilden (den Norden des Südens und den Norden innerhalb des Südens) und als rassialistisch-superior gelten sowie die kapitalistischen Eliten innerhalb des Weltsystems einschließen.4 Überdies ist der Extraktivismus von zentraler Bedeutung für die Zerstörung aller Formen des Lebens.
Extraktivismus folgt ganz genau dem westzentrischen Konzept der „Natur“. Das Problem mit diesem Konzept der „Natur“ liegt darin, dass es ein koloniales Konzept bleibt, da es ein Wort ist, das dem zivilisatorischen Projekt der Moderne eingeschrieben ist. In anderen Kosmogonien kommt beispielsweise das Wort „Natur“ nicht vor und existiert im Grunde nicht, da die sogenannte „Natur“ nicht ein Objekt ist, sondern ein Subjekt und Teil des Lebens in allen seinen (menschlichen und nicht-menschlichen) Formen. Der Begriff der Natur ist also seinem Wesen nach eurozentrisch, westzentrisch und anthropozentrisch. Es ist ein höchst problematisches Konzept, da es eine Spaltung zwischen Subjekt (Mensch) und Objekt (Natur) impliziert, in der das (menschliche) Subjekt Leben hat und der ganze Rest „Natur“ ist und als aus leblosen Objekten bestehend erachtet wird. Folglich sind ihre Formen des Lebens gegenüber menschlichem Leben inferior und der westlichen instrumentellen Rationalität von Zwecken und Mitteln eingeschrieben, in der „Natur“ zu einem Mittel für einen Zweck wird.
Kurzum, innerhalb der dualistischen, westzentrischen, cartesianischen Weltsicht wird der Mensch als außerhalb der Natur stehend erachtet; und Natur wird als Mittel zur Erlangung eines Zwecks betrachtet. Wenn dieses Prinzip auf die technologische Produktion angewandt wird, wie es während der vergangenen fünf Jahrhunderte der Moderne der Fall war, dann liefert es auch die Rechtfertigung für die Zerstörung des Lebens, da jede Technologie, die auf der Grundlage dieses Begriffs der „Natur“ entwickelt und in dieser dualistischen, westzentrischen Weise verstanden wird, ein Prinzip für die Zerstörung des Lebens in sich trägt, denn die Reproduktion des Lebens wird dabei nicht berücksichtigt. Es ist daher ein problematischer Begriff, der auf der Herrschaft durch die Kolonialität der Macht, des Wissens und des Seins beruht.
Im Gegensatz dazu bieten die nicht-westlichen Weltsichten in den Epistemologien des Südens,5 die sich nicht diesem dualistischen Weltbild verschreiben, sondern stattdessen einen holistischen Begriff der Diversität innerhalb der Einheit (oneness) einbegreifen (beispielsweise Pachamama der indigenen Andenvölker, tauhīd im Islam, Ubuntu in Afrika), eine ganz andere Perspektive. In dieser holistischen Sicht existiert „Natur“ nicht, sondern nur der „Kosmos“, innerhalb dessen wir alle als voneinander abhängige, koexistierende Formen des Lebens existieren. Dies führt zu der Einsicht, dass menschliches Leben nicht unabhängig vom ökologischen System existiert, sondern von anderen Formen des Lebens abhängt. Menschliches Leben wird so als Teil der Ökologie des Planeten erachtet; und wenn wir unser Ökosystem oder andere Formen des Lebens in unserer Umgebung zerstören, zerstören wir daher uns selbst. Mithin sind die Ökologie und ihre vielfältigen Formen des Lebens und der Existenz nicht ein Mittel zur Erlangung eines gesonderten Zwecks, sondern ein Zweck an sich. Jede Technologie, die auf der Basis dieses Prinzips entwickelt wird, beinhaltet das Prinzip für die Produktion des Lebens.
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, wie ein solch einfaches kosmologisches Prinzip enorme Folgen für die Produktion/Reproduktion des (menschlichen und nicht-menschlichen) Lebens, für den Kosmos und die Ökologie des Planeten haben kann. Die Moderne/Modernität ist ein zivilisatorisches Projekt und stellt, wie indigene kritische Denker auf dem Planeten glauben, eine Zivilisation des Todes dar, da es mehr Formen des (menschlichen und nicht-menschlichen) Lebens zerstört hat als jede andere Zivilisation in der Geschichte der Menschheit.
Die Moderne/Modernität ist eine „ökozidale“ (ecologicidal) Zivilisation, und zwar in einem solchen Ausmaß, dass wir gegenwärtig nicht wissen, ob die menschliche Gattung oder andere Gattungen die westliche Zivilisation überleben werden. Die Dekolonisierung der westzentrischen Sicht des Kosmos und der Übergang zu holistischen Perspektiven ist von wesentlicher Bedeutung für die Zukunft des Lebens auf dem Planeten. Extraktivismus ist eine der Industrien, die Leben zerstört und das zerstörerische Prinzip der westlichen Zivilisation in sich trägt.
Wenn wir betrachten, was an den Orten der extraktivistischen Industrien geschieht, nämlich in Gebieten in der Peripherie, die in planetarischen Begriffen als „Zonen des Nicht-Seins“ gelten, weil sie dieser Auffassung nach von rassialistisch-inferioren Subjekten/Untertanen bewohnt werden, die die Verdammten dieser Erde sind,6 so schließt die Materialität der Herrschaft Enteignung und Gewalt ein.7 An Orten, in denen Kupfer, wie in Chile, oder Gold, wie in Kolumbien, abgebaut wird, zerstören Bergbauunternehmen die lokale Ökologie, tragen Krankheiten in die lokalen Gemeinschaften und setzen brutale Formen der Gewalt gegen Arbeiter oder Bevölkerungen, die Widerstand leisten, ein. Währenddessen profitieren die Zonen des Seins, die von denen bewohnt werden, die als rassialistisch-superior und daher als die Glückseligen dieser Erde gelten, von den Endprodukten, die in den Gebieten der Extraktion so viel Tod erzeugt haben.
Kupferchips für Computer oder iPhones und das in Schmuck verarbeitete Gold und Halbleiter für die Informationstechnologie (IT) sind jenseits der Reichweite der Massen von menschlichen Subjekten/Untertanen, die in den Bergbauzonen des Nicht-Seins schuften. In den Zonen des Seins verwendet das System regulatorische und emanzipatorische Mechanismen, um Konflikte zu verwalten, während sie in den Zonen des Nicht-Seins durch Gewalt und Enteignung entschieden werden.8 Eine Seite bringt Leben hervor und die andere Tod. Die Weisen, das Leben zu genießen, auf der einen Seite hängen von der möglichen Zerstörung des Lebens auf der anderen ab. Die Glückseligen dieser Erde leben auf Kosten der Verdammten dieser Erde.9 Tod auf der einen produziert Leben auf der anderen Seite. Dieses System der globalen Ungerechtigkeit liegt im Herzen der Debatte über den Extraktivismus. Wie Acosta feststellt:
Extraktivismus ist eine Konstante im ökonomischen, sozialen und politischen Leben vieler Länder im globalen Süden gewesen. So ist jedes Land in Lateinamerika in verschiedenen Graden der Intensität von diesen Praktiken betroffen. Abhängigkeit von den metropolitanen Zentren vermittels der Extraktion und des Exports von Rohmaterialien ist bis zum heutigen Tag praktisch unverändert geblieben. [...] Daher scheint, abgesehen von wenigen Unterschieden von größerer oder kleinerer Bedeutung, die extraktivistische Weise der Akkumulation im Herzen der Produktionsverfahren neoliberaler wie auch progressiver Regierungen zu liegen.10
Alberto Acosta wird hier ausführlich zitiert, weil er eine vorzügliche Zusammenfassung der politischen Ökonomie des Extraktivismus liefert. Wie für den Rassismus gilt auch für den Extraktivismus, dass es keine Unterschiede zwischen linken oder rechten verwestlichten Regierungen gibt. Die gleiche Ausbeutung, Zerstörung und Gewalt, die von den extraktivistischen transnationalen Unternehmen hervorgebracht wird, wird reproduziert, ungeachtet der Ausrichtung der Regierung, die gerade bestehen mag. Überdies setzen diese Regierungen in manchen Fällen das gleiche Maß an Gewalt gegen ihre Opfer ein. Die Entwicklungsideologie ist Teil des westzentrischen Prinzips der Linken wie auch der Rechten, und alle Mittel werden durch diesen Zweck gerechtfertigt, einschließlich der aus dem Extraktivismus resultierenden Zerstörung und Gewalt, die gegen alle Formen des (menschlichen und nicht-menschlichen) Lebens gerichtet sind.
Vieles ist über die politische Ökonomie des Extraktivismus geschrieben worden. Vielleicht braucht es aber mehr Studien darüber, wie die verwestlichte Linke – wie etwa die linken Regierungen in Bolivien, Venezuela und Ecuador – mit ihrem epistemologischen Eurozentrismus die selbe Vision und die gleichen entwicklungsideologischen extraktivistischen Praktiken reproduziert wie die rechten Regierungen, da sie die gleiche eurozentrische Sicht des Universums teilen. Damit soll nicht die qualitative Differenz geleugnet werden, die diese linken Regierungen im Vergleich zu den neoliberalen Umtrieben bieten, die zuvor in diesen Ländern herrschten. Nichtsdestotrotz bleibt das Problem, dass der Umstand, auf der Seite der Linken zu sein, keine Garantie bietet im Hinblick auf die Zerstörung des Lebens, die durch die westzentrische Entwicklungsideologie verursacht wird.
Mit diesem Text wird allerdings die Absicht verfolgt, andere Aspekte des Extraktivismus zu erörtern, nämlich epistemischen und ontologischen Extraktivismus als Weisen des Denkens, Seins und Handelns in der Welt.
5.2 Epistemischer Extraktivismus
Kognitiver Extraktivismus ist ein Konzept, das zuerst von Leanne Betasamosake Simpson, einer Intellektuellen aus dem indigenen Volk der Mississauga Nishnaabeg in Kanada, Anfang 2013 eingeführt worden ist. Ihr Denken weitet den Begriff des ökonomischen Extraktivismus auf weitere Praktiken innerhalb der kolonialen Herrschaft aus.
Wir beginnen damit, folgende Bemerkungen von Leanne Betasamosake Simpson über kognitiven Extraktivismus zu zitieren:
Als es einen Anstoß dazu gab, traditionelles Wissen in das ökologische Denken in den späten achtziger Jahren nach Our Common Future (Unsere gemeinsame Zukunft)11 aufzunehmen, handelte es sich um einen sehr extraktivistischen Ansatz: „Lasst uns jedwede Lehren nehmen, die ihr haben mögt, die uns helfen könnten, direkt aus eurem Kontext, direkt von euren Wissensbesitzern, direkt aus eurer Sprache, und sie in diese assimilatorische Denkart integrieren.“ Das ist die Idee, dass traditionelles Wissen und indigene Völker irgendeine Art von Geheimnis kennen, wie in einer nicht-ausbeuterischen Weise auf dem Land gelebt werden kann, das die breitere Gesellschaft sich aneignen muss. Aber in dieser extraktivistischen Denkart geht es nicht darum, ein Gespräch zu führen, einen Dialog zu haben und indigenes Wissen nach dem Verständnis der indigenen Völker einzubringen. Es geht vielmehr darum, all die Ideen zu extrahieren, die Wissenschaftler oder Umweltschützer für gut hielten und sie zu assimilieren [...], sie in Toilettenpapier zu verpacken und an die Leute zu verkaufen. Es gibt hier eine intellektuelle Extraktion, eine kognitive Extraktion, wie auch eine physische. Die Maschine, die sich um die Propagierung des Extraktivismus dreht, ist riesig, was Fernsehen, Spielfilme und die populäre Kultur betrifft.12
Hier greift Leanne Betasamosake Simpson das Konzept des Extraktivismus auf und dehnt es auf neue Gebiete aus, um eine besondere Einstellung zum Wissen zu definieren. Sie nimmt als Beispiel das Projekt der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen, in dem die Ideen von indigenen Völkern der ganzen Welt angeeignet werden, um sie zu kolonialisieren, indem sie an westliches Wissen assimiliert werden. Durch diese Assimilation oder, in anderen Worten, durch die Subsumtion dieser Formen von indigenem Wissen unter westliches Wissen werden die radikale Politik und „alternative“ Kritik der Kosmogonie herausgelöst, um sie annehmbarer zu machen, oder auch schlicht aus ihrer radikaleren epistemischen Matrix extrahiert, um sie zu entpolitisieren.
Intellektueller, kognitiver oder epistemischer Extraktivismus stellt eine Denkart dar, die nicht nach irgendeinem Dialog sucht, der einen egalitären, horizontalen Dialog zwischen Menschen impliziert, oder nach irgendeinem Verständnis des indigenen Wissens nach seinen eigenen Maßstäben strebt, sondern darauf abzielt, Ideen zu extrahieren, um sie zu kolonisieren, indem sie unter westliche kulturelle Parameter und Episteme subsumiert werden. Epistemischer Extraktivismus extrahiert Ideen (ob wissenschaftliche oder umweltpolitische) aus indigenen Gemeinschaften, indem sie aus den Kontexten herausgelöst werden, in denen sie erzeugt worden sind, um sie zu entpolitisieren und ihnen eine neue Bedeutung zu verleihen, die auf westzentrischen Ideen basiert.
Das Ziel des epistemischen Extraktivismus besteht darin, Ideen zu plündern, um sie zu propagieren und in ökonomisches Kapital zu transformieren oder sie in die westliche akademische Maschinerie aufzusaugen, um symbolisches Kapital zu gewinnen. In beiden Fällen bedeutet dies, sie zu dekontextualisieren, um den radikalen Inhalt zu entfernen, und möglicherweise zu entpolitisieren, um sie kommerziell attraktiver zu machen. In der extraktivistischen Mentalität wird das Ziel verfolgt, traditionelles Wissen anzueignen, so dass transnationale Konzerne es in private Patente verwandeln können oder Akademiker in westlichen Universitäten behaupten können, „originelle“ Ideen produziert zu haben, als würden sie das Urheberrecht dafür besitzen. Die Komplizen bei dieser epistemologischen Beraubung und Plünderung sind die ökonomische/akademische/politische/militärische imperiale Maschinerie des Westens und die Marionettenregierungen der Dritten Welt, die von den verwestlichten Eliten manipuliert werden.
Leanne Betasamosake Simpson fährt fort:
In dieser Denkart wird tatsächlich jeder Bestandteil unserer Kultur, der für die extraktivistische Mentalität nützlich erscheint, extrahiert. Das Kanu, der Kajak, jegliche Technologie, die wir hatten, die nützlich war, wurde extrahiert und an die Kultur der Siedler assimiliert, ohne Rücksicht auf die Menschen und das Wissen, die sie hervorbrachten.13
Aus einer extraktivistischen Perspektive werden alle potentiell nützlichen Objekte, Technologien oder Ideen, die aus indigenen Kulturen stammen, extrahiert und durch die kolonisierenden Kulturen ohne Würdigung der Völker, die dieses Wissen hervorgebracht haben, assimiliert. Und dies wird getan, indem die Völker, die diese Objekte, Ideen und Technologien erzeugt haben, von den symbolischen und ökonomischen Kapitalströmen ausgeschlossen werden. Somit werden Objekte, Ideen und Technologien zum Nutzen anderer aus ihnen extrahiert, während sie mittellos und verarmt bleiben. Nicht nur werden sie ihrer Ressourcen beraubt und wird ihre Umwelt durch ökonomischen Extraktivismus zerstört, sondern sie werden auch ihres Wissens und ihrer Technologie durch epistemischen Extraktivismus beraubt.
5.3 Silvia Rivera Cusicanquis Kritik wohlbekannter Intellektueller im Netzwerk Modernität/Kolonialität
Wir können ähnliche Herangehensweisen wie den von Leanne Betasamosake Simpson beschriebenen epistemischen und ontologischen Extraktivismus im Werk der bolivianischen Autorin Silvia Rivera Cusicanqui finden, auch wenn sie diese Ausdrücke nicht benutzt. So stellt sie in einem Interview mit Boaventura de Sousa Santos fest:
Das autoritative Wort gehört denen an der Spitze; die ganz unten liefern lediglich den Input. Das ist bei jedem Wissenssystem gleich: wir produzieren das Rohmaterial, und sie geben es als fertiges Produkt an uns zurück.14
Im epistemischen Extraktivismus wird die „originale“ Theorie, die angeeignet worden ist, so präsentiert, als sei sie durch den globalen Norden „produziert“ worden, während die Völker des globalen Südens darauf beschränkt werden, Input in der Form von Erfahrungen zu produzieren, die sodann vom Norden vereinnahmt und als voll entwickelte Theorien zurückgeliefert werden. Auch wenn sie diesen Ausdruck nicht verwendet, beschreibt Silvia Rivera Cusicanqui ebenfalls den Prozess, den die indigene Autorin Leanne Betasamosake Simpson als kognitiven Extraktivismus bezeichnet hat. Es ist sehr interessant zu sehen, wie jemand mit engen Beziehungen zum Volk der Aymara in Bolivien sehr ähnliche Prozesse identifiziert wie jene, die aus der Perspektive einer anderen Person mit Beziehungen zum Volk der Mississauga Nishnaabeg in Kanada beschrieben werden.
Zudem gibt es, wie Silvia Rivera Cusicanqui warnt, sogar perverse Formen des epistemischen Extraktivismus, die darauf ausgerichtet sind, das Wissen des Südens im Namen der epistemischen Dekolonisierung zu kolonisieren. Sie bemerkt mit Blick auf Walter Mignolo:
Mignolo & Co haben ein kleines Imperium innerhalb eines Imperiums aufgebaut, das die Beiträge der Schule der subalternen Studien in Indien und die vielen lateinamerikanischen Varianten der kritischen Reflexion über Kolonisation und Dekolonisierung auf strategische Weise aneignet.15
Einmal fühlte Dr. Mignolo sich genötigt, mich zu loben, vielleicht indem er ein Sprichwort, das wir im Süden Boliviens haben, in die Praxis umsetzte: „Lobe den Narren, wenn du [ihn] mehr arbeiten sehen möchtest.“ Indem er meine Ideen über internen Kolonialismus und die Epistemologie der oralen Geschichte aufgriff, plapperte er sie in einen Diskurs über Alterität verpackt nach, der zutiefst entpolitisiert war.16
Diese dekontextualisierten und entpolitisierten extraktivistischen Aneignungen des Wissens des Südens durch Akademiker im globalen Norden bilden einen Bestandteil der epistemisch-rassistischen Hierarchien innerhalb der Wissensproduktion, in der die Autorschaft der Denker des Südens ausgelöscht und durch die der Denker des Nordens ersetzt worden ist.
In Bezug auf eine Erfahrung mit einer angelsächsischen Zeitschrift, die sie nötigte, Quijano und Mignolo zu Theorien zu zitieren, die sie selbst und andere lateinamerikanische Autoren Jahrzehnte zuvor entwickelt hatten, stellt Silvia Rivera Cusicanqui fest:
Durch das Spiel des „wer zitiert wen“ werden Hierarchien strukturiert, und wir gelangen schließlich dazu, genau die Ideen über die Dekolonisierung, die wir indigene Völker und Intellektuelle in Bolivien, Peru und Ecuador unabhängig produziert haben, in einer nachgeplapperten Form zu konsumieren. Und dieser Prozess begann in den 1970er Jahren – das selten zitierte Werk von Pablo González Casanovas über „internen Kolonialismus“ wurde 1969 veröffentlicht -, zu einer Zeit, als Mignolo und Quijano noch immer einen positivistischen Marxismus und eine lineare Vision der Geschichte vertraten.17
Dieser Weckruf von Silvia Rivera Cusicanqui hinsichtlich der Weise, in der ursprünglich in Lateinamerika produziertes Wissen wiederaufbereitet wird als etwas Originelles, das von wenigen anerkannten Akademikern des Nordens entwickelt wurde, obwohl es in Lateinamerika entstanden ist, dient als Mahnung, dass epistemischer Extraktivismus auch bei Autoren auftreten kann, die im Namen der epistemologischen Dekolonisierung sprechen. Silvia Rivera Cusicanquis Kritik an Walter Mignolo und Aníbal Quijano ist dem sehr ähnlich, was Leanne Betasamosake Simpson als „kognitiven Extraktivismus“ bezeichnet.
Es gibt zwei Fragen, die in Rivera Cusicanquis Kritik hervorgehoben werden sollten. Einerseits, was Aníbal Quijano betrifft, so ist der wesentliche Punkt sein epistemischer Rassismus, der indigenes, mestizisches und afro-stämmiges Wissen untergräbt, indem er auf diesem Wissen basierende Ideen aufnimmt, ohne jemals die mestizischen, indigenen oder afro-stämmigen Intellektuellen, die sie entwickelt haben, zu zitieren.
Andererseits, was Leute wie Mignolo betrifft, so ist der von ihr kritisierte wesentliche Punkt die Weise, in der sie Ideen von Denkern, die jene repräsentieren, die im Kampf engagiert sind, sich aneignen, ohne sich auf die sozialen Bewegungen oder Kampagnen der indigenen und afro-stämmigen Völker politisch einzulassen. Sie produzieren Wissen, ohne jemals ihre Schriften und Werke mit den Befreiungskämpfen dieser Völker zu verbinden, sondern vielmehr in der Absicht, symbolisches und ökonomisches Kapital sowie intellektuelle Anerkennung in den Universitäten des globalen Nordens zu erwerben. Das eben ist es, was die Dekontextualisierung und Entpolitisierung ausmacht, die durch den „epistemischen Extraktivismus“ in der von Quijano produzierten rassistischen epistemischen Version und der von Mignolo produzierten populistischen epistemischen Version zur Anwendung kommt.18
Als Bestätigung von Silvia Rivera Cusicanquis Kritik erscheint es doch sehr seltsam, dass Walter Mignolo sich in einem kürzlich erschienenen Artikel auf manche Theorien bezieht, die von Leanne Betasamosake Simpson präsentiert worden sind, ohne jemals ihre radikale Kritik des epistemischen und ontologischen Extraktivismus zu erwähnen.19 Es wäre interessant gewesen, wenn Mignolo diesen Begriff einer ernsthaften Betrachtung unterzogen hätte, um darauf aufbauend eine kritische Selbstreflexion über dieses Thema vorzunehmen. Doch er erwähnt es nicht einmal. Er übernimmt auch manche Elemente von Betasamosake Simpson, indem er sie entpolitisiert und die Radikalität ihres Denkens herunterspielt, während er Aspekte ignoriert, die mit jeder radikalen Kritik der kolonialen extraktivistischen Epistemologie verbunden sind, die von „Mignolo & Co“ verwendet wird.20
Wenn Extraktivismus eine Weise des Denkens und der Wissensproduktion ist, dann kann sich das Problem unter weißen und mestizischen lateinamerikanischen Autoren, die sich im Besitz von Wissen befinden, das von indigenen und afro-stämmigen Völkern in den Amerikas erzeugt worden ist, leicht vervielfachen.
Quijano selbst eignet sich in einem kürzlich erschienenen Artikel mit dem Titel Buen Vivir (Gutes Leben)21 das kritische Denken über dieses Konzept an, das von indigenen Intellektuellen in den Anden entwickelt worden ist, ohne auch nur einen von ihnen zu zitieren. Von den zwanzig bibliographischen Angaben im Artikel von Aníbal Quijano über Buen Vivir verweisen in der Tat siebzehn auf den Autor selbst, eine auf einen britischen Historiker, der Spezialist für antike Geschichte ist, und die zwei verbleibenden auf zwei seiner mestizischen Schüler. Nicht ein indigener Denker wird in diesem Artikel erwähnt. Doch wenn es ein Thema gibt, zu dem indigene Intellektuelle in den Anden einen bedeutenden Beitrag geleistet haben, dann ist es eben das Thema des Buen Vivir. Einmal mehr ist ein Konzept, das von der indigenen Welt hervorgebracht und von ihren Intellektuellen entwickelt wurde, ohne jegliche Würdigung extrahiert worden. Überdies wird Javier Lajo, der berühmte indigene amazonische Intellektuelle aus Peru, der zum Thema des Buen Vivir viel geschrieben hat,22 im Artikel des mestizischen peruanischen Intellektuellen Aníbal Quijano nicht einmal erwähnt, wodurch die höchst schädlichen Praktiken des epistemischen Extraktivismus reproduziert werden.
Für Leanne Betasamosake Simpson ist die Alternative zu dieser kolonialen Form der epistemischen Plünderung, die zum kognitiven Extraktivismus führt:
[...] ein Wandel der Denkart, die von einer Sicht der indigenen Völker als zu extrahierende Ressource dazu übergeht, uns als intelligente, redegewandte, bedeutsame, lebendige, atmende Völker und Nationen zu sehen. Ich denke, dass dies von Einzelnen, Gemeinschaften und Völkern verlangt, faire, bedeutungsvolle und aufrichtige Beziehungen mit uns zu entwickeln [...] Wir haben eine Menge von Ideen darüber, wie ein behutsames Leben innerhalb unseres Territoriums zu führen ist, wo wir verschiedene Jurisdiktionen und separate Nationen, aber auf einem gemeinsamen Territorium haben. Ich denke, dass es eine Verantwortung seitens der Mainstream-Gemeinschaft und -Gesellschaft gibt, eine nachhaltigere Lebensweise zu entwickeln und sich aus dem extraktivistischen Denken zu extrahieren – und ihre eigene Anstrengung und ihre eigene Verantwortung zu übernehmen, um herauszufinden, wie man ein Leben in Verantwortung führen und für die nächsten sieben Generationen von Menschen verantwortlich sein kann. Für mich ist das ein Wandel, den die kanadische Gesellschaft vollziehen muss, das ist ihre Verantwortung. Unsere Verantwortung besteht darin, weiterhin jenes Wissen wiederzubeleben, jene Praktiken wiederzubeleben, die Geschichten und Philosophien wiederzubeleben und unsere Nationen von innen heraus wiederaufzubauen.23
Indigene Völker als soziale Akteure, die denken und gültiges Wissen für alle produzieren, zu sehen, statt als eine Ressource, die extrahiert werden kann, ist der erste Schritt in Richtung der epistemischen Dekolonisierung, die Leanne Betasamosake Simpson vorschlägt. Sie fügt hinzu, dass der zweite Schritt in der Erfordernis für Gemeinschaften besteht, verantwortlich zu leben und sich selbst aus dem extraktivistischen Denken zu extrahieren. Verantwortlich zu leben, ist in ihrer Aussage zusammengefasst: „Die Alternative zum Extraktivismus ist tiefe Reziprozität.“ Die dekoloniale Alternative, die sie daher vorschlägt, ist tiefe Reziprozität als eine Weise des Seins und Lebens in der Welt. Reziprozität erfordert eine tiefe Revolution in Weisen des Lebens. Gemäß der Prinzipien der Reziprozität zu leben, verlangt auch Beziehungen, die auf fairem Austausch zwischen Menschen und zwischen Menschen und Nicht-Menschen gründen. Wenn die Ökologie des Planeten uns mit Wasser, Nahrung, Luft usw. versorgt, so dass wir leben können, verlangt das Prinzip der Reziprozität, das, was wir vom Kosmos genommen haben, zu reproduzieren und zurückzuerstatten.
Zu extrahieren, ohne zurückzugeben, ist das Prinzip, das zur Zerstörung des Lebens führt. Zu extrahieren und dabei Sorge zu tragen, Leben zu reproduzieren und das, was extrahiert worden ist, zurückzuerstatten, ist ein ganz anderes kosmologisches Prinzip. Es impliziert eine planetarische ökologische Achtsamkeit, die nicht den Machtstrukturen der westlichen Zivilisation folgt, die nunmehr global und die einzige ist, die noch übriggelassen worden ist, nachdem alle anderen durch über fünfhundert Jahre der kolonialen und neokolonialen Expansion zerstört worden sind. Für Leanne Betasamosake Simpson ist die epistemische Dekolonisierung daher nicht ausreichend: eine radikale Veränderung in den Formen des Seins, Lebens und Handelns in der Welt ist ebenso notwendig.
5.4 Ontologischer Extraktivismus
Extraktivismus ist eine Weise des Seins und Lebens in der Welt oder, mit anderen Worten, eine Form der Existenz, eine Ontologie. Leanne Betasamosake Simpson sagt:
Extrahieren bedeutet wegnehmen. Extrahieren bedeutet in Wirklichkeit rauben. Es bedeutet nehmen ohne Zustimmung, ohne Denken, Sorge oder gar Wissen um die Wirkungen auf die anderen lebenden Dinge in dieser Umwelt. Dies war immer schon ein Bestandteil von Kolonialismus und Eroberung. Der Kolonialismus hat stets das Indigene extrahiert – Extraktion von indigenem Wissen, indigenen Frauen, indigenen Völkern. [...] Unsere Ältesten haben uns nunmehr seit Generationen davor gewarnt – sie erkannten sofort, dass die Siedlergesellschaft nicht aufrechtzuerhalten war. Gesellschaften, die auf Eroberung basieren, können nicht aufrechterhalten werden. Daher denke ich, ja, dass wir dem Bruchpunkt gewiss näher kommen. Uns läuft die Zeit davon. Wir verlieren die Möglichkeit, das noch einmal umzukehren. Wir haben keine Zeit für diese gewaltige langsame Transformation in etwas, das aufrechtzuerhalten und alternativ ist. Ich habe das Gefühl, gegen die Wand gedrückt zu werden. Wahrscheinlich empfanden meine Vorfahren das schon vor zweihundert oder vierhundert Jahren. Aber ich glaube nicht, dass es darauf ankommt.24
Extraktivismus ist Diebstahl, Raub und Plünderung. Es ist eine Weise des Existierens und Handelns in der Welt, zu der Aneignung der Ressourcen von anderen ohne ihre Zustimmung gehört, und ohne einen Gedanken oder eine Sorge darauf zu verschwenden, welche negativen Wirkungen dies auf das Leben der anderen (menschlichen und nicht-menschlichen) Lebewesen haben wird. Das Motiv hinter der ontologisch-extraktivistischen Haltung ist: „Solange es mir nützt, kümmere ich mich nicht um die Folgen für andere (menschliche und nicht-menschliche) Lebewesen.“ Diese egozentrischen Haltungen und selbstzentrierten Weisen des Lebens und Verhaltens gehören zu Gesellschaften, die durch eine lange Geschichte von Imperialismus, Kapitalismus, Kolonialismus und Patriarchat geprägt worden sind, oder, mit anderen Worten, durch das Ausplündern von Reichtum, Arbeit und Wissen von anderen Völkern, die als rassialistisch-inferior erachtet werden, und Frauen zugunsten von wenigen Völkern, die als rassialistisch-superior erachtet werden, oder von chauvinistischen Männern, die Privilegien gegenüber Frauen zu besitzen glauben, weil sie sie als auszubeutende Ressource betrachten.
Imperiale/koloniale/kapitalistische/patriarchalische Gesellschaften sind nicht aufrechtzuerhalten, da sie davon leben, (menschliche und nicht-menschliche) Andere zu berauben und zu zerstören. Gesellschaften, die auf der Eroberung von Menschen und Nicht-Menschen basieren, zerstören die Mittel zur Reproduktion des Lebens. Egozentrizität ist Teil der Subjektivität, die mit Kolonialismus und Patriarchat verbunden ist, da das einzige, worauf es ankommt, die egoistischen Interessen des männlichen Kolonisators sind, auch wenn dies die Zerstörung von Menschen und Nicht-Menschen überall auf dem Planeten bedeutet.
Irrationalität herrscht vor, weil langfristig die Kolonisatoren selbst davon betroffen sind, da doch die Idee, dass Menschen außerhalb des Kosmos und der Ökologie des Planeten existieren können, ein Mythos ist. Wenn wir den Kosmos und die Ökologie des Planeten zerstören, zerstören wir uns selbst. Weise in den Ahnengemeinschaften haben seit Jahrhunderten vor den Folgen dieser westzentrischen Zerstörung gewarnt. Leanne Betasamosake Simpson kündigt nun an, dass die Zeit abläuft, da sich die Zerstörung des Planeten beschleunigt und wir die Chance verpassen, das Leben auf Erden für zukünftige Generationen zu bewahren. Sie fügt hinzu:
Extraktion und Assimilation gehen zusammen. Kolonialismus und Kapitalismus basieren auf Extraktion und Assimilation. Mein Land wird als eine Ressource betrachtet. Meine Verwandten in den Welten der Pflanzen und Tiere werden als Ressourcen betrachtet. Meine Kultur und mein Wissen wird als Ressource betrachtet. Mein Körper ist eine Ressource, und meine Kinder sind eine Ressource, weil sie das Potential sind, das Extraktions-Assimilations-System wachsen zu lassen, aufrechtzuerhalten und zu betreiben. Der Akt der Extraktion löscht alle Beziehungen aus, die all dem, was extrahiert wird, Sinn verleihen.25
Extraktivismus und Assimilationismus arbeiten Hand in Hand. In der extraktivistischen Sicht der Welt wird alles in eine Ressource transformiert, die extrahiert werden kann, um auf dem Weltmarkt als Ware um des Profits willen verkauft zu werden. Dies reicht von Formen des (menschlichen und nicht-menschlichen) Lebens bis hin zu kulturellen Artefakten und Wissen. Alles wird als Instrument betrachtet, das benutzt werden kann, um die extraktivistische und assimilationistische Weise des Lebens zu erhalten – eine Form der Existenz, die entpolitisiert, dekontextualisiert sowie die sprachlichen und kulturellen Bedeutungen der Artefakte und Objekte, die extrahiert werden, abspaltet.
Extraktivismus ist also nicht nur eine Weise des Extrahierens von anderen zum eigenen Nutzen, sondern auch eine Form des Seins und Existierens, die indigene Bedeutungen und Kulturen extrahiert/eliminiert/subtrahiert, um alles innerhalb westzentrischer Formen von Existenz, Erfahrung und Denken mit neuer Bedeutung zu versehen und zu assimilieren. Die Artefakte und Objekte, die extrahiert werden, haben Bedeutungen innerhalb spezifischer kultureller Kontexte. Ein Kanu, eine Pflanze oder eine Trommel haben allesamt ethische, politische und spirituelle Bedeutungen für Völker mit Ahnentraditionen. Wenn sie jedoch in den Westen transferiert werden, wird das Kanu zu einer Ware, die Pflanze zu einer halluzinogenen Substanz und die Trommel zu einem Rhythmus ohne spirituelle Bedeutung. Wenn sie aus ihrem ursprünglichen Kontext entfernt und in neue versetzt werden, verlieren sie ihren indigenen Sinn und Bedeutung und werden in die eurozentrische kulturelle Matrix der Moderne/Modernität assimiliert.
Dieses Prinzip der Assimilation ist Epistemizid,26 denn es zerstört letztlich überliefertes (ancestral) Wissen und Praktiken. Was einst ein heiliges Prinzip war, das Respekt für alle Formen des Lebens verlangte, wird zu einem säkularisierten Prinzip, das die Zerstörung des Lebens nach sich zieht. Überlieferte Artefakte, Objekte und Kenntnisse werden in andere Kontexte eingeschrieben/assimiliert, die ihnen einen ganz anderen Sinn und Bedeutung verleihen. Epistemizid und „Existenzializid“ (existencialicide) bedeuten die Zerstörung des Wissens und der Weisen des Lebens, die mit Artefakten, Kenntnissen und Objekten, die extrahiert und in die westliche Kultur und entsprechende Weisen des Seins und Existierens assimiliert worden sind, verbunden sind. Alles, was anders ist, verliert, wenn es assimiliert wird, seine Einzigartigkeit.
Die Maschinerie des Modernismus transformiert alles in eine entzauberte Welt ohne Seele oder Geist, indem andere Weisen des Denkens und Existierens zugunsten von westlichen Weisen des Denkens und der Existenz zerstört werden. Das Problem ist nicht, dass keine Kultur das Recht hat, Dinge aus anderen Kulturen aufzunehmen. Das Problem ist, wenn eine Kultur eine andere zerstört, indem sie sich dabei deren Leistungen aneignet und keine Spur von den Völkern lässt, die sie hervorgebracht haben. Wir gehen von einer verzauberten Welt mit Ritualen und Respekt für andere Formen des Lebens und der Existenz zu einer entzauberten Welt über, in der die Gesamtheit der menschlichen Kultur anders ist und alles, was als nicht-menschlich klassifiziert wird, seine Einzigartigkeit als ein Subjekt verliert und in ein lebloses Objekt transformiert wird, indem es der Zerstörung des Lebens unterworfen wird, die den selbstsüchtigen Interessen des westlichen Kolonialismus dient.
Der extraktivistische Kapitalismus privilegiert seinem Wesen nach westliche Weisen des Lebens und zerstört alle anderen kulturell und biologisch verschiedenartigen Formen des Lebens. Diese privilegierten westlichen Weisen des Lebens werden als die einzig ontologisch mögliche menschliche Wahl aufgezwungen, während andere kulturell und kosmologisch verschiedenartige Formen der menschlichen Existenz als tierisch und inferior ontologisiert werden.
Leanne Betasamosake Simpson schließt, indem sie die extraktivistische Weise des Lebens oder den ontologischen Extraktivismus mit der entwicklungsideologischen extraktivistischen politischen Ökonomie in Verbindung bringt:
Indigene Gemeinschaften, besonders an Orten, wo es einen starken Druck gibt, natürliche Ressourcen zu entwickeln, sind mit einer gewaltigen aufgezwungenen wirtschaftlichen Armut konfrontiert. Milliarden von Dollars in Gestalt von natürlichen Ressourcen sind aus ihren Territorien extrahiert worden, ohne ihre Erlaubnis und ohne Kompensation. Das ist die Wirklichkeit. Wir hatten nicht das Recht gehabt, nein zur Entwicklung zu sagen, weil diese Gemeinschaften letztlich nicht als Menschen betrachtet werden, sie werden als Ressourcen angesehen.27
Natürliche Ressourcen werden ohne Erlaubnis oder Zustimmung extrahiert, so dass Gemeinschaften überall in der Welt in Massenarmut zurückgelassen werden. Zudem verfügen sie nicht über das Recht zur echten demokratischen Beratung über die Frage der Entwicklung, da sie letztlich als nicht-menschlich betrachtet werden oder, mit anderen Worten, als Ressourcen oder Objekte, die es nicht wert sind, in die Beratung mit einbezogen zu werden. Das extraktivistische Prinzip zerstört nicht nur auf genozidale Weise andere menschliche und nicht-menschliche Lebewesen, stürzt Völker in Armut, extrahiert, entreißt und eignet sich ihre Ressourcen an und zerstört auf der epistemischen Ebene ihr Wissen, sondern löscht auch durch die Transformation von allem in ein Objekt und eine Ressource die politische Handlungsfähigkeit der objektifizierten Akteure und den gesamten Begriff der Demokratie aus.
Extraktivismus ist eine Form des eklatanten Faschismus, der sich über verschiedene Phasen hinweg entwickelt hat: vom „christianisiere dich oder ich werde dich töten“ des sechzehnten Jahrhunderts zum „zivilisiere dich oder ich werde dich töten“ des neunzehnten Jahrhunderts, dem „entwickle dich oder ich werde dich töten“ des zwanzigsten Jahrhunderts und dem „demokratisiere dich oder ich werde dich töten“ des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Alle diese globalen kolonialen Projekte sind mit dem „Extraktivismus oder ich werde dich töten“ verbunden, der seit dem sechzehnten Jahrhundert eine Konstante war.
Daher sind gegenwärtig in Lateinamerika und der neokolonisierten Welt Verfahren der „vorherigen Beratung“ (prior consultation), die nicht-westliche Gemeinschaften einbeziehen, ein schlechter Witz. Transnationale Konzerne kaufen die Anführer von manchen dieser Völker auf, während diejenigen, die sich widersetzen, von militärischen oder paramilitärischen Gruppen mit einer Gewalt ermordet werden, die ethnischer Säuberung (Genozid) gleichkommt.
Wenn beispielsweise in Kolumbien eine Gemeinschaft mit einem multinationalen extraktivistischen Projekt kollaboriert, weil sie mit Geld dafür gewonnen worden ist, findet im Anschluss daran die „vorherige Beratung“ statt, wie gesetzlich vorgesehen. Wenn sich jedoch eine Gemeinschaft widersetzt, tauchen paramilitärische Gruppen auf und dann wird das Gebiet ethnisch gesäubert. Nach den Massakern, da in der Region keine Menschen übrig sind, wird die vorherige Beratung zynischerweise für ungültig erklärt.
Dieses Prinzip von Gewalt, Tod und eklatantem Genozid ist überall in der Welt im Gefolge des Anstiegs der Preise von Metallen und Mineralien, der durch die Finanzspekulation im Zuge der Krise von 2008 verursacht wurde, intensiviert worden, auch wenn es im Grunde schon seit 1492 besteht. Es kann in anderen Teilen Amerikas und dem Rest der Welt (wie etwa in Brasilien, Südafrika und Mexiko) beobachtet werden. Durch den Diebstahl von Wissen ohne vorherige Beratung oder Würdigung ihrer Schöpfer sind auch Akademiker in diese Plünderung verstrickt. Epistemizidaler Raub gehörte seit dem Beginn der europäischen kolonialen Expansion vor mehr als fünfhundert Jahren zum globalen westzentrischen Extraktivismus.
5.5 (Un)Schluss: Moderne Wissenschaft und Epistemischer Extraktivismus
Ein Teil der Erklärung für das, was historisch geschehen ist, besteht darin, dass ein obskurantistisches Christentum, das vom vierten Jahrhundert unter Kaiser Konstantin bis zum siebzehnten Jahrhundert in der frühen modernen/kolonialen Welt währte, der Wissenschaft oder dem kritischen Denken jegliche Entwicklung verwehrte. Alles, was die Dogmen der Kirche in Frage stellte, wurde letztlich als Teufelswerk betrachtet. Infolgedessen war Europa genötigt, sich angesichts der Macht der Kirche zu „säkularisieren“, um die Wissenschaft zu entwickeln und die Wissenschaft anderer Zivilisationen, die bedeutende Fortschritte erreicht hatten, aufzunehmen. Die wichtigste Quelle des wissenschaftlichen Einflusses war aufgrund ihrer Nähe die islamische Zivilisation.
Die Ursprünge der modernen Wissenschaft liegen in einem gewaltigen Akt des epistemologischen Extraktivismus. Ein erheblicher Teil der Grundlagen der modernen europäischen Wissenschaften und Philosophie wurden von muslimischen Wissenschaftlern und Philosophen übernommen. Mit der Kolonisierung und der nachfolgenden Zerstörung von anderen Zivilisationen und ihrer jeweiligen Infrastrukturen der Wissensproduktion wurde jedoch Wissenschaft von europäischen Männern monopolisiert, wodurch andere Völker in den epistemischen Niedergang gestoßen worden sind.28
Infolge des modernen Konstrukts der Rasse, das europäische Männer zu rassialistisch-superioren Wesen erhebt, sind Narrative für die Geschichte der Wissenschaft geschaffen worden, aus denen die Beiträge nicht-westlicher Zivilisationen, auf die sich der Westen bei der Produktion seiner Wissenschaft und Philosophie gestützt hatte, entfernt worden sind, wodurch der moderne rassialistische Mythos erzeugt worden ist, demzufolge die Wissenschaft ihre Ursprünge in westlichen Männern habe.
Daher feiern wir Kopernikus, vergessen aber Ibn asch-Schātir, den Wissenschaftler von Damaskus, der dreihundert Jahre früher genau die mathematischen Theoreme entwickelt hatte, die von ersterem benutzt wurden, oder auch al-Bīrūnī, den persisch-muslimischen Astronomen, der fünfhundert Jahre früher bereits die Idee formuliert hatte, dass die Erde um die Sonne kreist und sich um ihre eigene Achse dreht.29
Und genauso verlief es auch bei der Erfindung der Druckerpresse, die Gutenberg zugeschrieben wurde, obwohl sie schon sechshundert Jahre zuvor existierte und von den Chinesen erfunden worden war. Und so geschah es auch mit der griechischen Philosophie, die vermittelt über die andalusischen Philosophen Ibn Ruschd (Averroes) und Ibn Maymūn (Maimonides) nach Europa gelangte.
Diese Aneignung des Wissens und Auslöschung des historischen Gedächtnisses von den Ursprüngen der Philosophie und modernen Wissenschaft konstituierte das moderne/koloniale epistemisch-extraktivistische Projekt seit seinen frühesten Tagen am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Es war ein kolonialer extraktivistischer Prozess, der in den folgenden fünf Jahrhunderten unablässig in seinen eurozentrischen Versionen, linken oder rechten, wiederkehren sollte und in jüngster Zeit in seiner schlimmsten Form im Namen des „Dekolonialen“.
Literatur
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1Zum Thema der Gewalt in Zonen des Seins und Nicht-Seins siehe Ramón Grosfoguel, „La descolonización del conocimiento: diálogo crítico entre la visión descolonial de Frantz Fanon y la sociología descolonial de Boaventura de Sousa Santos“, in: AA.VV, Formas-otras: Saber, nombrar, narrar, hacer: IV training seminar de jóvenes investigadores en dinámicas interculturales, Fundación CIDOB, Barcelona, 2011, S. 97-108, https://www.cidob.org/es/
publicaciones/serie_de_publicacion/monografias/monografias/formas_otras_saber_nombrar_narrar_hacer. [Anm. d. Übers.: Siehe auch Ramón Grosfoguel, „Was ist Rassismus? Zone des Seins und Zone des Nicht-Seins in den Werken von Frantz Fanon und Boaventura de Sousa Santos“, in diesem Band: Ramón Grosfoguel, Horizonte dekolonialen Denkens. Über Rassismus, Islamophobie, Dekolonisierung und Transmoderne, Yusuf Kuhn & Daniel Rudolf (Hrsg. & Übers.), tredition, Hamburg, 2024, S. 217-239; englisches Original: Ramón Grosfoguel, „What is racism? Zone of being and zone of non-being in the work of Frantz Fanon and Boaventura de Sousa Santos“, in: Julie Cupples & Ramón Grosfoguel (Hrsg.), Unsettling Eurocentrism in the Westernized University, Routledge, New York, 2019, S. 264-273.]
2Alberto Acosta, „Extractivismo y neoextractivismo: Dos caras de la misma maldición“, EcoPortal.net, 25. Juli 2012, https://www.ecoportal.net/temasespeciales/varios/extractivismo_y_neoextractivismo_dos_caras_de_la_misma_maldicion.
3Ebenda.
4Der Ausdruck „globaler Süden“ wird hier nicht als geographische Bezeichnung verwendet, sondern als eine Positionierung innerhalb der Machtverhältnisse und Herrschaft des „Westens“ im Verhältnis zur „nicht-westlichen“ Welt. Siehe dazu „Introduction. Epistemologies of the South—Giving Voice to the Diversity of the South“ in: Boaventura de Sousa Santos & Maria Paula Meneses (Hrsg.), Knowledges Born in the Struggle. Constructing the Epistemologies of the Global South, Routledge, New York, 2020, S. xvii-xliii.
5Boaventura de Sousa Santos & Maria Paula Meneses (Hrsg.), Epistemologias do Sul, Almedina, Coimbra, 2009.
6Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1969; französisches Original: Frantz Fanon, Les damnés de la terre, Éditions François Maspero, Paris, 1961.
7Boaventura de Sousa Santos & Maria Paula Meneses (Hrsg.), Epistemologias do Sul, Almedina, Coimbra, 2009.
8Die Ansicht von Fanon (Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1969; französisches Original: Frantz Fanon, Les damnés de la terre, Éditions François Maspero, Paris, 1961) wird hier mit derjenigen von Sousa Santos und Meneses (Boaventura de Sousa Santos & Maria Paula Meneses (Hrsg.), Epistemologias do Sul, Almedina, Coimbra, 2009) verknüpft. Für eine detailliertere Erörterung dieser Frage siehe Ramón Grosfoguel, „La descolonización del conocimiento: diálogo crítico entre la visión descolonial de Frantz Fanon y la sociología descolonial de Boaventura de Sousa Santos“, in: AA.VV, Formas-otras: Saber, nombrar, narrar, hacer: IV training seminar de jóvenes investigadores en dinámicas interculturales, Fundación CIDOB, Barcelona, 2011, S. 97-108, https://www.cidob.org/es/publicaciones/serie_de_publicacion/monografias…. [Anm. d. Übers.: Siehe auch Ramón Grosfoguel, „Was ist Rassismus? Zone des Seins und Zone des Nicht-Seins in den Werken von Frantz Fanon und Boaventura de Sousa Santos“, in diesem Band: Ramón Grosfoguel, Horizonte dekolonialen Denkens. Über Rassismus, Islamophobie, Dekolonisierung und Transmoderne, Yusuf Kuhn & Daniel Rudolf (Hrsg. & Übers.), tredition, Hamburg, 2024, S. 217-239; englisches Original: Ramón Grosfoguel, „What is racism? Zone of being and zone of non-being in the work of Frantz Fanon and Boaventura de Sousa Santos“, in: Julie Cupples & Ramón Grosfoguel (Hrsg.), Unsettling Eurocentrism in the Westernized University, Routledge, New York, 2019, S. 264-273.]
9Der Ausdruck „die Verdammten dieser Erde“ stammt freilich von Fanon, siehe Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1969; französisches Original: Frantz Fanon, Les damnés de la terre, Éditions François Maspero, Paris, 1961. Ich habe den Ausdruck „die Glückseligen dieser Erde“ hinzugefügt, weil sein Werk, auch wenn er diesen Ausdruck nicht verwendet, klarmacht, dass es keine „Verdammten“ ohne die „Glückseligen“ in dieser lebenszerstörenden Kultur gibt, die ich als das „kapitalistische/patriarchalische west-/christozentrische moderne/koloniale Weltsystem“ bezeichne.
10Alberto Acosta, „Extractivismo y neoextractivismo: Dos caras de la misma maldición“, EcoPortal.net, 25. Juli 2012, https://www.ecoportal.net/temasespeciales/varios/extractivismo_y_neoextractivismo_dos_caras_de_la_misma_maldicion.
11Our Common Future (Unsere gemeinsame Zukunft) ist ein Bericht, der 1987 von der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen („Brundtland-Kommission“) veröffentlicht wurde.
12Naomi Klein, „Dancing the World into Being: A Conversation with Idle No More’s Leanne Simpson“, in: YES Magazine, 5. März 2013, https://www.yesmagazine.org/social-justice/2013/03/06/dancing-the-world-into-being-a-conversation-with-idle-no-more-leanne-simpson.
13Ebenda.
14Dieser Auszug findet sich in der Aufzeichnung des Interviews „Conversa del Mundo - Silvia Rivera Cusicanqui y Boaventura de Sousa Santos“ (https://www.youtube.com/watch?v=xjgHfSrLnpU) bei 27:27, einem der Eckpfeiler das ALICE-Projektes, das von Boaventura de Sousa Santos an der Universität von Coimbra geleitet wird.
15Silvia Rivera Cusicanqui, Ch’ixinakak utxiwa: Una reflexión sobre prácticas y discursos descolonizadores, Tinta Limón, Buenos Aires, 2010, S. 58.
16Ebenda, S. 64.
17Ebenda, S. 66.
18Ramón Grosfoguel, „Hay que tomarse en serio el pensamiento crítico de los colonizados en toda su complejidad“, in: Metapolítica, 83, 2013, S. 38-74, http://www.boaventuradesousasantos.pt/media/Grosfoguel%20METAPOLITICA_8….
19Walter Mignolo, „Further thoughts on (de)coloniality“, in: Sabine Broeck & Carsten Junker (Hrsg.), Postcoloniality-Decoloniality-Black Critique: Joints and Fissures, Campus, Frankfurt am Main, 2014, S. 21-52.
20Ich habe persönlich Mignolo in öffentlichen Debatten sagen gehört, dass indigenes Denken in Lateinamerika eine „Mine“ ist. Diese Analogie ist symptomatisch für die extraktivistische Denkart und Ideen, die Leanne Betasamosake Simpson beschreibt. Der Gebrauch von indigenen Ideen als eine „epistemische Mine“ für persönlichen Gewinn und im Dienst einer erfolgreichen akademischen Karriere im Norden ist im Kern genau das, was Silvia Rivera Cusicanqui bei Mignolo verwirft. Dennoch ist dies im Falle von Mignolo schlimmer als bei anderen, da sein kolonialer extraktivistischer Diskurs im Namen der „epistemologischen Dekolonisierung“ produziert wird.
21Aníbal Quijano, „‘Buen vivir’: Entre el ‘desarrollo’ y la des/colonialidad del poder“, in: Viento Sur, 122, 2012, S. 46-56.
22Siehe den ausgezeichneten Artikel von Javier Lajo, „Sumaq Kaway-Ninchik o nuestro vivir bien“, in: Revista de la Integración, Nr. 5, 2010, S. 112-125, https://rebelion.org/sumaq-kawsay-ninchik-o-nuestro-vivir-bien. Siehe auch seinen Artikel „¿Imaninantataq Suma Kausay?“, https://www.voltairenet.org/article144920.html.
23Naomi Klein, „Dancing the World into Being: A Conversation with Idle No More’s Leanne Simpson“, in: YES Magazine, 5. März 2013, https://www.yesmagazine.org/social-justice/2013/03/06/dancing-the-world-into-being-a-conversation-with-idle-no-more-leanne-simpson.
24Ebenda.
25Ebenda.
26Anm. d. Hrsg.: „Epistemizid“ ist ein von Boaventura de Sousa Santos geprägter Begriff. Siehe dazu Fußnote 4 auf Seite 71.
27Ebenda.
28Ramón Grosfoguel, „Epistemischer Rassismus/Sexismus, verwestlichte Universitäten und die vier Genozide/Epistemizide des langen 16. Jahrhunderts“, in diesem Band: Ramón Grosfoguel, Horizonte dekolonialen Denkens. Über Rassismus, Islamophobie, Dekolonisierung und Transmoderne, Yusuf Kuhn & Daniel Rudolf (Hrsg. & Übers.), tredition, Hamburg, 2024, S. 69-117; englisches Original: Ramón Grosfoguel, „Epistemic Racism/Sexism, Westernized Universities and the Four Genocides/Epistemicides of the Long Sixteenth Century“, in: Marta Araújo & Silvia Rodríguez Maeso (Hrsg.), Eurocentrism, Racism and Knowledge. Debates on History and Power in Europe and the Americas, Palgrave Macmillan, London, 2015, S. 23-46.
29Zur Schuld von Kopernikus gegenüber muslimischen Astronomen siehe George Saliba, Islamic Science and the Making of the European Renaissance, MIT Press, Cambridge, 2011.